“Assemblism“ ist ein Begriff, den der niederländische Künstler Jonas Staal benutzt, um die Rolle zu beschreiben, die Kunst, Performance und Theater bei den performativen Versammlungen von Massenprotesten und sozialen Bewegungen spielen, und der zentral für seine eigene künstlerische Arbeit ist. Die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Jodi Dean betont auf der anderen Seite, dass soziale Bewegungen nur dann nachhaltig wirken können, wenn sie in eine neue kommunistische Partei überführt werden. Was ist also das Potential von Kunst, wenn es darum geht, nicht nur neue Formen des Versammelns zu erfinden oder zu untersuchen, sondern sich auch an dem Prozess zu beteiligen, diese in nachhaltige organisatorische Strukturen zu verwandeln? Und wie verändern jüngste politische Mobilisierungen – von Anti-Masken-Demos bis zum Sturm auf das Washingtoner Kapitol – den oft romantisierenden Blick auf das Versammeln von Körpern im Raum?
Über die Reihe The Art of Assembly. Vorträge, Gespräche, Online-Plattform
Ob in Tunis, Kairo, Madrid, Lissabon, in Athen, New York, London oder Istanbul, in Tokio nach Fukushima, inmitten von Niemeyers ikonischer Parlamentsarchitektur in Brasília, unter den Regenschirmen in Hongkong, auf den Straßen von Minneapolis: Die weltweiten sozialen Bewegungen der letzten Jahre waren immer auch geprägt von der Suche nach alternativen Formen des Versammelns, des Argumentierens und des Entscheidens, des Aushandelns von Gemeinschaft und Gesellschaft. Solche Versammlungen wirken nicht nur durch ihre Forderungen. Sie verändern die Realität oft bereits dadurch, dass sie radikalere Modelle von Demokratie praktizieren.
Auch innerhalb der Künste gibt es ein erneutes Interesse an Konzepten der Versammlung und am Erzeugen öffentlicher Räume, in denen die Gesellschaft nicht nur gespiegelt, sondern konsequent ausprobiert, aufgeführt, getestet, anders gedacht oder gar neu erfunden wird: Gerichtsverhandlungen über Kunstfreiheit, Religion und Zensur; Tribunale über Ausbeutung und Gewalt; Gipfeltreffen über Klimawandel oder Kulturpolitik; Parlamente, in denen diejenigen sprechen, die sonst zum Schweigen gebracht werden … Insbesondere das Theater ist zu einer Bühne für Versammlungen auf dem schmalen Grat zwischen Kunst und Wirklichkeit geworden, zu einer demokratischen Arena der radikalen Imagination.
Doch welche Zukunft hat die Idee der Versammlung nach Monaten eines Ausnahmezustands, der so ziemlich alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens aus dem Takt gebracht hat? Gesellschaftsspiele: The Art of Assembly bringt Protagonist*innen aus verschiedenen Bereichen von Kunst, Politik und Theorie zusammen, um über die Zukunft der Versammlung zu spekulieren – in einer Zeit, in der wir gelernt haben, wie flüchtig Gewissheiten sein können, und in der jede Form des physischen Miteinanders prekär geworden ist.
Gäste am 20. März
Jodi Dean (Politikwissenschaftlerin, New York) ist Professorin für Politikwissenschaft an den Colleges Hobart und William Smith in Geneva, NY. Sie ist Autorin beziehungsweise Herausgeberin von dreizehn Büchern, darunter The Communist Horizon, Crowds and Party und Comrade: An Essay on Political Belonging, veröffentlicht von Verso.
Jonas Staal (Künstler, Athen/Rotterdam) ist ein bildender Künstler, dessen Arbeit sich mit der Beziehung zwischen Kunst, Propaganda und Demokratie befasst. Er ist der Gründer der künstlerischen und politischen Organisation New World Summit (2012 - laufend) und der Kampagne New Unions (2016–2019). Mit BAK, Basis voor actuele kunst, Utrecht, war er Mitbegründer der New World Academy (2013-16), mit Florian Malzacher leitet er derzeit das utopische Trainingslager Training for the Future (seit 2018) und mit Laure Prouvost ist er Co-Administrator der Obscure Union. Zu den Ausstellungsprojekten gehören Kunst des staatenlosen Staates (Moderna Galerija, Ljubljana, 2015), After Europe (State of Concept, Athen, 2016), das schottisch-europäische Parlament (CCA, Glasgow, 2018) und Museum als Parlament (mit der Demokratischen Partei) Föderation Nordsyrien, Van Abbemuseum, Eindhoven, ab 2018). Staals jüngstes Buch ist Propagandakunst im 21. Jahrhundert (The MIT Press, 2019). Staal promovierte über Propagandakunst am PhDArts-Programm der Universität Leiden in den Niederlanden.
Die Reihe The Art of Assembly basiert auf
Florian Malzacher, Gesellschaftsspiele. Politisches Theater heute, Berlin: Alexander Verlag, 2020, www.art-of-assembly.net
Florian Malzacher ist freier Kurator, Dramaturg und Autor. Von 2012 bis 2017 war er künstlerischer Leiter des Impulse Theater Festivals (Düsseldorf, Köln und Mülheim an der Ruhr), davor sieben Jahre leitender Dramaturg/Kurator des Festivals steirischer herbst (Graz).
Er (co-)kuratierte u. a. die Internationale Sommerakademie (Mousonturm Frankfurt, 2002 & 2004), „Dictionary of War“ (2006/07), „Truth is Concrete“ in Graz (2012), „Aneignungen“ im Ethnologischen Museum Berlin / Humboldt Lab (2015), „Artist Organisations International“ (HAU Berlin, 2015), „Vom Möglichkeitssinn“ zum Jahrestag der Russischen Revolution (St. Petersburg, 2017), „Training for the Future“ (mit Jonas Staal, Ruhrtriennale, 2018/19) und „Nach dem Beaufsichtigen der Maschinen“ (2020). Als Dramaturg arbeitete er u. a. mit Rimini Protokoll, Lola Arias (AR), Mariano Pensotti (AR) und Nature Theater of Oklahoma (US). Florian Malzacher ist Herausgeber und Autor zahlreicher Essays und Bücher zu Theater und Performance sowie zum Verhältnis von Kunst und Politik. Zuletzt erschien 2020 sein Buch Gesellschaftsspiele. Politisches Theater heute im Alexander Verlag Berlin.
Es ist wichtig, dass wir als Körper – als die körperlichen Wesen, die wir sind – zusammen in der Öffentlichkeit auftreten, dass wir uns in der Öffentlichkeit versammeln. Wir kommen zusammen auf den Straßen und Plätzen als eine Allianz der Körper. […] Das ist das, was hier passiert, eine Politik des öffentlichen Körpers, der Bedürfnisse des Körpers, seiner Bewegungen und seiner Stimme. […] Wir sitzen und stehen, wir bewegen uns und wir sprechen, so wie es unseren Möglichkeiten entspricht, als Wille des Volkes, den die Wahldemokratie vergessen und im Stich gelassen hat. Aber wir sind hier. Und wir bleiben hier und füllen die Formel „We, the people“ mit Leben.
Judith Butler, Occupy Wall Street, 2011
Mit Oliver Marchart, Chantal Mouffe, Sibylle Peters, Julia Ramírez-Blanco, Milo Rau, Oliver Ressler, Dana Yahalomi / Public Movement u. a. Gäste am 20. März Jodi Dean (Politikwissenschaftlerin, New York) und Jonas Staal (Künstler, Athen/Rotterdam) Kuratiert von Florian Malzacher
Eine Produktion von brut – Koproduktionshaus Wien GmbH.
In Zusammenarbeit mit Münchner Kammerspiele und Wiener Festwochen.
Online Livestream auf brut-wien.at
barrierefrei
Nordwestbahnstraße 8-10, 1200 Wien
U-Bahn: U1, U2 (Praterstern), U4 (Friedensbrücke), U6 (Dresdnerstraße) Tram: 5 (Nordwestbahnstraße) Bus: 5A (Wasnergasse)
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