Vor rund zehn Jahren begann die Serie der Besetzungen großer städtischer Plätze überall in der Welt – nach Tunis, Kairo, Athen, Madrid schwappte die Welle nach New York über. Mitte September 2011 entstand der erste Protest inmitten der Bankentürme von Lower Manhattan: Occupy Wall Street wurde zum Symbol des Widerstands gegen den Finanzkapitalismus und die Großkonzerne. Ihre Versammlungen wurden zum Vorbild für eine andere Art der Diskussion und Entscheidungsfindung, die nicht nur Aktivisten auf der ganzen Welt beeinflusst, sondern die auch im Theater und in der Kunst ihren Nachhall findet.
Visit art-of-assembly.net for videos, podcasts and background info
Anlässlich des 10. Jahrestages der Besetzung des Zucchotti-Platzes wirft die 8. Ausgabe von The Art of Assembly einen genauen Blick auf die Hinterlassenschaft: Die Philosophin Judith Butler, Autorin des wohl einflussreichsten Buches über Versammlungen der letzten Jahre, lässt (via Zoom) ihre berühmte Rede bei OWS Revue passieren, in der sie auf die performative Dimension dieser Versammlung von Körpern hingewiesen hat. Der Schriftsteller und Aktivist Max Haiven beschwört die Geister von Occupy und blickt – ganz im Sinne des verstorbenen Anthropologen und der OWS-Schlüsselfigur David Graeber – auf ein geisterhaftes Jahrzehnt zurück.
Gesellschaftsspiele. The Art of Assembly ist eine von Florian Malzacher moderierte und kuratierte Vortrags- und Gesprächsreihe über das Potenzial von Versammlungen in Aktivismus, Kunst und Politik. Zu den bisherigen und zukünftigen Gästen zählen Judith Butler, Jodie Dean, Radha D`Souza, Didier Eribon, Max Haiven, Oliver Marchart, Alia Mossallam, Chantal Mouffe, Sibylle Peters, Milo Rau, Oliver Ressler, Jonas Staal & Dana Yahalomi. Die Reihe wird produziert von brut Wien, in Zusammenarbeit mit den Münchner Kammerspielen, Wiener Festwochen und der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.
Ob in Tunis, Kairo, Madrid, Lissabon, in Athen, New York, London oder Istanbul, in Tokio nach Fukushima, inmitten von Niemeyers ikonischer Parlamentsarchitektur in Brasília, unter den Regenschirmen in Hongkong, auf den Straßen von Minneapolis: Die weltweiten sozialen Bewegungen der letzten Jahre waren immer auch geprägt von der Suche nach alternativen Formen des Versammelns, des Argumentierens und des Entscheidens, des Aushandelns von Gemeinschaft und Gesellschaft. Solche Versammlungen wirken nicht nur durch ihre Forderungen. Sie verändern die Realität oft bereits dadurch, dass sie radikalere Modelle von Demokratie praktizieren.
Auch innerhalb der Künste gibt es ein erneutes Interesse an Konzepten der Versammlung und am Erzeugen öffentlicher Räume, in denen die Gesellschaft nicht nur gespiegelt, sondern konsequent ausprobiert, aufgeführt, getestet, anders gedacht oder gar neu erfunden wird: Gerichtsverhandlungen über Kunstfreiheit, Religion und Zensur; Tribunale über Ausbeutung und Gewalt; Gipfeltreffen über Klimawandel oder Kulturpolitik; Parlamente, in denen diejenigen sprechen, die sonst zum Schweigen gebracht werden … Insbesondere das Theater ist zu einer Bühne für Versammlungen auf dem schmalen Grat zwischen Kunst und Wirklichkeit geworden, zu einer demokratischen Arena der radikalen Imagination.
Doch welche Zukunft hat die Idee der Versammlung nach Monaten eines Ausnahmezustands, der so ziemlich alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens aus dem Takt gebracht hat? Gesellschaftsspiele: The Art of Assembly bringt Protagonist*innen aus verschiedenen Bereichen von Kunst, Politik und Theorie zusammen, um über die Zukunft der Versammlung zu spekulieren – in einer Zeit, in der wir gelernt haben, wie flüchtig Gewissheiten sein können, und in der jede Form des physischen Miteinanders prekär geworden ist.
Florian Malzacher, Gesellschaftsspiele. Politisches Theater heute, Berlin: Alexander Verlag, 2020, www.art-of-assembly.net
Florian Malzacher ist freier Kurator, Dramaturg und Autor. 2012-2017 war er Künstlerischer Leiter des Impulse Theater Festivals (Düsseldorf, Köln und Mülheim/Ruhr), davor sieben Jahre Leitender Dramaturg/Kurator des Festivals steirischer herbst (Graz). Er (ko)kuratierte u. a. die Internationalen Sommerakademie (Mousonturm Frankfurt, 2002 & 2004), „Dictionary of War“ (2006/07), „Truth is Concrete“ in Graz (2012), „Aneignungen“ im Ethnologischen Museum Berlin/Humboldt Lab (2015), „Artist Organisations International“ (HAU Berlin, 2015), „Vom Möglichkeitssinn“ zum Jahrestag der Russischen Revolution (St. Petersburg, 2017), „Training for the Future“ (mit Jonas Staal, Ruhrtriennale 2018/19), und „Nach dem Beaufsichtigen der Maschinen“ (2020). Als Dramaturg arbeitete er u.a. mit Rimini Protokoll, Lola Arias (ARG), Mariano Pensotti (ARG) oder Nature Theater of Oklahoma (USA). Florian Malzacher ist Herausgeber und Autor zahlreicher Essays und Bücher zu Theater und Performance, sowie zum Verhältnis von Kunst und Politik. Zuletzt erschien 2020 sein Buch Gesellschaftsspiele. Politisches Theater heute im Alexander Verlag Berlin.
Mit Didier Eribon Chantal Mouffe, Sibylle Peters, Julia Ramírez-Blanco, Milo Rau, Oliver Ressler, Dana Yahalomi / Public Movement, Jodi Dean, Jonas Staal u.v.m. Kuratiert von Florian Malzacher.
The Art of Assembly – Gesellschaftsspiele, eine Reihe von Florian Malzacher und brut Wien, in Kooperation mit Münchner Kammerspiele, Wiener Festwochen und Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
Online Livestream
barrierefrei
Nordwestbahnstraße 8-10, 1200 Wien
U-Bahn: U1, U2 (Praterstern), U4 (Friedensbrücke), U6 (Dresdnerstraße) Tram: 5 (Nordwestbahnstraße) Bus: 5A (Wasnergasse)
nicht barrierefrei
Zieglergasse 25, 1070 Wien
U-Bahn: U3 (Zieglergasse), Tram: 49 (Westbahnstraße / Zieglergasse)
barrierefrei
Eschenbachgasse 11 / Ecke Getreidemarkt, 1010 Wien
U-Bahn: U4, U1 (Karlsplatz), Tram: 1, 2, D, 71 (Burgring), Bus: 57A (Getreidemarkt)