Anlässlich des Aktionstages „Der Vielen“ – einem solidarischen Zusammenschluss zahlreicher Kunst- und Kulturinstitutionen in Österreich und Deutschland – wirft diese Sonderausgabe von The Art of Assembly in Kooperation mit der Kunsthalle Wien einen Blick auf verschiedene künstlerisch-aktivistische Aktionen im Öffentlichen Raum Österreichs. Heidrun Primas, Leiterin des Grazer Forums Stadtpark ist Mitinitiatorin des „Camps für Moria“; die Künstler*innen Eduard Freudmann und Gin Müller protestieren mit einer „Schandwache“ gegen das Denkmal des antisemitischen Wiener Bürgermeisters Karl Lueger; die Bühnenbildnerin Philine Rinnert ist eine zentrale Protagonistin „Der Vielen“ in Deutschland.
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Ob in Tunis, Kairo, Madrid, Lissabon, in Athen, New York, London oder Istanbul, in Tokio nach Fukushima, inmitten von Niemeyers ikonischer Parlamentsarchitektur in Brasília, unter den Regenschirmen in Hongkong, auf den Straßen von Minneapolis: Die weltweiten sozialen Bewegungen der letzten Jahre waren immer auch geprägt von der Suche nach alternativen Formen des Versammelns, des Argumentierens und des Entscheidens, des Aushandelns von Gemeinschaft und Gesellschaft. Solche Versammlungen wirken nicht nur durch ihre Forderungen. Sie verändern die Realität oft bereits dadurch, dass sie radikalere Modelle von Demokratie praktizieren.
Auch innerhalb der Künste gibt es ein erneutes Interesse an Konzepten der Versammlung und am Erzeugen öffentlicher Räume, in denen die Gesellschaft nicht nur gespiegelt, sondern konsequent ausprobiert, aufgeführt, getestet, anders gedacht oder gar neu erfunden wird: Gerichtsverhandlungen über Kunstfreiheit, Religion und Zensur; Tribunale über Ausbeutung und Gewalt; Gipfeltreffen über Klimawandel oder Kulturpolitik; Parlamente, in denen diejenigen sprechen, die sonst zum Schweigen gebracht werden … Insbesondere das Theater ist zu einer Bühne für Versammlungen auf dem schmalen Grat zwischen Kunst und Wirklichkeit geworden, zu einer demokratischen Arena der radikalen Imagination.
Doch welche Zukunft hat die Idee der Versammlung nach Monaten eines Ausnahmezustands, der so ziemlich alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens aus dem Takt gebracht hat? Gesellschaftsspiele: The Art of Assembly bringt Protagonist*innen aus verschiedenen Bereichen von Kunst, Politik und Theorie zusammen, um über die Zukunft der Versammlung zu spekulieren – in einer Zeit, in der wir gelernt haben, wie flüchtig Gewissheiten sein können, und in der jede Form des physischen Miteinanders prekär geworden ist.
Mit wachsendem Selbstvertrauen verschiedenster Rechtsaußenparteien in Europa sind auch die Angriffe gegen die künstlerische Freiheit in den vergangenen Jahren massiver geworden. Immer öfter versuchen Parteien wie FPÖ oder AfD Einfluss auf Kunst- und Kulturinstitutionen zu nehmen. DIE VIELEN ist ein Zusammenschluss von Künstler*innen und rund viertausend verschiedensten Kulturinstitutionen in Deutschland und Österreich die sich als solidarische Plattform gegen rechte Propaganda und Gewalt stellen und sich verpflichtet haben, sich gegenseitig zu unterstützen, wenn Künstler*innen oder Institutionen bedroht oder unter Druck gesetzt werden.
DIE VIELEN organisieren überregionale Aktionen, Demonstrationen und verschiedenste Veranstaltungen, die sich gegen Hass wenden und für ein Zusammenleben mit offenen Grenzen einsetzen – nach innen wie nach außen. Dabei werden streithaft Debatten innerhalb der Theater- und Kunstlandschaft angestoßen. Der Verein agiert unterstützend als aktives Netzwerk und bietet Plattformen zur Vernetzung.
Florian Malzacher, Gesellschaftsspiele. Politisches Theater heute, Berlin: Alexander Verlag, 2020, www.art-of-assembly.net
Florian Malzacher ist freier Kurator, Dramaturg und Autor. Von 2012 bis 2017 war er künstlerischer Leiter des Impulse Theater Festivals (Düsseldorf, Köln und Mülheim an der Ruhr), davor sieben Jahre leitender Dramaturg/Kurator des Festivals steirischer herbst (Graz).
Er (co-)kuratierte u. a. die Internationale Sommerakademie (Mousonturm Frankfurt, 2002 & 2004), „Dictionary of War“ (2006/07), „Truth is Concrete“ in Graz (2012), „Aneignungen“ im Ethnologischen Museum Berlin / Humboldt Lab (2015), „Artist Organisations International“ (HAU Berlin, 2015), „Vom Möglichkeitssinn“ zum Jahrestag der Russischen Revolution (St. Petersburg, 2017), „Training for the Future“ (mit Jonas Staal, Ruhrtriennale, 2018/19) und „Nach dem Beaufsichtigen der Maschinen“ (2020). Als Dramaturg arbeitete er u. a. mit Rimini Protokoll, Lola Arias (AR), Mariano Pensotti (AR) und Nature Theater of Oklahoma (US). Florian Malzacher ist Herausgeber und Autor zahlreicher Essays und Bücher zu Theater und Performance sowie zum Verhältnis von Kunst und Politik. Zuletzt erschien 2020 sein Buch Gesellschaftsspiele. Politisches Theater heute im Alexander Verlag Berlin.
"Es ist wichtig, dass wir als Körper – als die körperlichen Wesen, die wir sind – zusammen in der Öffentlichkeit auftreten, dass wir uns in der Öffentlichkeit versammeln. Wir kommen zusammen auf den Straßen und Plätzen als eine Allianz der Körper. […] Das ist das, was hier passiert, eine Politik des öffentlichen Körpers, der Bedürfnisse des Körpers, seiner Bewegungen und seiner Stimme. […] Wir sitzen und stehen, wir bewegen uns und wir sprechen, so wie es unseren Möglichkeiten entspricht, als Wille des Volkes, den die Wahldemokratie vergessen und im Stich gelassen hat. Aber wir sind hier. Und wir bleiben hier und füllen die Formel „We, the people“ mit Leben."
Judith Butler, Occupy Wall Street, 2011
Mit Oliver Marchart, Chantal Mouffe, Sibylle Peters, Julia Ramírez-Blanco, Milo Rau, Oliver Ressler, Dana Yahalomi / Public Movement u. a. Gäste am 08. Mai
Kuratiert von Florian Malzacher
Eine Produktion von brut – Koproduktionshaus Wien GmbH in Kooperation mit der Kunsthalle Wien
In Zusammenarbeit mit Münchner Kammerspiele und Wiener Festwochen.
Online Livestream auf brut-wien.at