Die General Assembly steht im Zentrum vieler sozialer Bewegungen des letzten Jahrzehnts: Ein Bereich der Gemeinschaftsbildung, des Experimentierens damit, wie Demokratie funktionieren kann; ein Raum, in dem andere Formen des Entscheidens nicht nur ausprobiert, sondern gelebt werden. Die Kunsthistorikerin Julia Ramírez-Blanco (Barcelona) hat gerade ein Buch über das spanische 15M-Movement abgeschlossen, Oliver Ressler (Wien) ist einer der wichtigsten Dokumentaristen weltweiter sozialer Bewegungen. Gemeinsam reflektieren sie in der zweiten Ausgabe von Gesellschaftsspiele – The Art of Assembly die Bedeutung kollektiver Entscheidungsfindung für das Entwickeln politischer Alternativen.
Julia Ramírez-Blanco ist Kunsthistorikerin und Dozentin an der Universität Barcelona. Als Autorin des Buches Artistic Utopias of Revolt untersucht sie die Schnittstellen zwischen Kunst, Aktivismus und utopischer Praxis. Derzeit beendet sie ein Buch über Ästhetik und Politik der spanischen 15M-Bewegung. Ramírez-Blanco hielt zahlreiche Vorträge an Orten wie der Princeton oder der Columbia University, dem Sao Paulo Art Museum oder dem Reina Sofía Museum.
Oliver Ressler (Wien) ist ein Künstler und Filmemacher, der Installationen, Arbeiten im Außenraum und Filme zu Themen wie Ökonomie, Demokratie, Migration, Klimakrise, Widerstandsformen und gesellschaftliche Alternativen realisiert. Er hat fünfunddreißig Filme fertiggestellt. Seine Arbeiten wurden in Galerien, Museen und Biennalen auf der ganzen Welt ausgestellt. Derzeit arbeitet er an einem Forschungsprojekt zur Bewegung für Klimagerechtigkeit, Barricading the Ice Sheets.
Ob in Tunis, Kairo, Madrid, Lissabon, in Athen, New York, London oder Istanbul, in Tokio nach Fukushima, inmitten von Niemeyers ikonischer Parlamentsarchitektur in Brasilia, unter den Regenschirmen in Hongkong, auf den Straßen von Minneapolis: Die weltweiten sozialen Bewegungen der letzten Jahre waren immer auch geprägt von der Suche nach alternativen Formen des Versammelns, des Argumentierens und Entscheidens, des Aushandelns von Gemeinschaft und Gesellschaft. Solche Versammlungen wirken nicht nur durch ihre Forderungen. Sie verändern die Realität oft bereits dadurch, dass sie radikalere Modelle von Demokratie praktizieren.
Auch innerhalb der Künste gibt es ein erneutes Interesse an Konzepten der Versammlung und dem Erzeugen öffentlicher Räume, in denen die Gesellschaft nicht nur gespiegelt, sondern konsequent ausprobiert, aufgeführt, getestet, anders gedacht oder gar neu erfunden wird: Gerichtsverhandlungen über Kunstfreiheit, Religion und Zensur; Tribunale über Ausbeutung und Gewalt; Gipfeltreffen über Klimawandel oder Kulturpolitik; Parlamente, in denen diejenigen sprechen, die sonst zum Schweigen gebracht werden... Insbesondere das Theater ist zu einer Bühne für Versammlungen auf dem schmalen Grat zwischen Kunst und Wirklichkeit geworden, zu einer demokratischen Arena der radikalen Imagination.
Doch welche Zukunft hat die Idee der Versammlung nach Monaten eines Ausnahmezustands, der so ziemlich alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens aus dem Takt gebracht hat? Gesellschaftsspiele: The Art of Assembly bringt Protagonisten aus verschiedenen Bereichen der Kunst, Politik und Theorie zusammen, um über die Zukunft der Versammlung zu spekulieren – in einer Zeit, in der wir gelernt haben, wie flüchtig Gewissheiten sein können und in der jede Form des physischen Miteinanders prekär geworden ist.
Florian Malzacher ist freier Kurator, Dramaturg und Autor. 2012-2017 war er Künstlerischer Leiter des Impulse Theater Festivals (Düsseldorf, Köln und Mülheim/Ruhr), davor sieben Jahre Leitender Dramaturg/Kurator des Festivals steirischer herbst (Graz). Er (ko)kuratierte u. a. die Internationalen Sommerakademie (Mousonturm Frankfurt, 2002 & 2004), „Dictionary of War“ (2006/07), „Truth is Concrete“ in Graz (2012), „Aneignungen“ im Ethnologischen Museum Berlin/Humboldt Lab (2015), „Artist Organisations International“ (HAU Berlin, 2015), „Vom Möglichkeitssinn“ zum Jahrestag der Russischen Revolution (St. Petersburg, 2017), „Training for the Future“ (mit Jonas Staal, Ruhrtriennale 2018/19), und „Nach dem Beaufsichtigen der Maschinen“ (2020). Als Dramaturg arbeitete er u.a. mit Rimini Protokoll, Lola Arias (ARG), Mariano Pensotti (ARG) oder Nature Theater of Oklahoma (USA). Florian Malzacher ist Herausgeber und Autor zahlreicher Essays und Bücher zu Theater und Performance, sowie zum Verhältnis von Kunst und Politik. Zuletzt erschien 2020 sein Buch Gesellschaftsspiele. Politisches Theater heute im Alexander Verlag Berlin. https://florianmalzacher.tumblr.com
Florian Malzacher. Gesellschaftsspiele. Politisches Theater heute. Berlin: Alexander Verlag, 2020.
"Es ist wichtig, dass wir als Körper – als die körperlichen Wesen, die wir sind – zusammen in der Öffentlichkeit auftreten, dass wir uns in der Öffentlichkeit versammeln. Wir kommen zusammen auf den Straßen und Plätzen als eine Allianz der Körper. […] Das ist das, was hier passiert, eine Politik des öffentlichen Körpers, der Bedürfnisse des Körpers, seiner Bewegungen und seiner Stimme. […] Wir sitzen und stehen, wir bewegen uns und wir sprechen, so wie es unseren Möglichkeiten entspricht, als Wille des Volkes, den die Wahldemokratie vergessen und im Stich gelassen hat. Aber wir sind hier. Und wir bleiben hier und füllen die Formel „We, the people“ mit Leben." Judith Butler, Occupy Wall Street, 2011
Mit Oliver Marchart, Chantal Mouffe, Sibylle Peters, Julia Ramírez-Blanco, Milo Rau, Oliver Ressler, Dana Yahalomi / Public Movement u.a. Gäste am 19. Februar Oliver Ressler (bildender Künstler & Filmemacher, Wien) und Julia Ramírez-Blanco (Kunstwissenschaftlerin, Barcelona) Kuratiert von Florian Malzacher Eine Produktion von brut – Koproduktionshaus Wien GmbH. In Zusammenarbeit mit Münchner Kammerspiele und Wiener Festwochen.