Können politische oder künstlerische Versammlungen Proben für eine unvorhersehbare Zukunft sein? Die Choreographin und Künstlerin Dana Yahalomi /Public Movement (Tel Aviv) und der politische Theoretiker Oliver Marchart (Wien) sind dieser Meinung. Mit dem Begriff „Preenactment“ beschreiben sie die künstlerische Antizipation politischer Ereignisse. Am 23. Jänner sind die beiden zu Gast bei der neuen Gesprächsreihe The Art of Assembly und diskutieren mit dem Gastgeber, Kurator und Autor Florian Malzacher.
Ob in Tunis, Kairo, Madrid, Lissabon, in Athen, New York, London oder Istanbul, in Tokio nach Fukushima, inmitten von Niemeyers ikonischer Parlamentsarchitektur in Brasilia, unter den Regenschirmen in Hongkong, auf den Straßen von Minneapolis: Die weltweiten sozialen Bewegungen der letzten Jahre waren immer auch geprägt von der Suche nach alternativen Formen des Versammelns, des Argumentierens und Entscheidens, des Aushandelns von Gemeinschaft und Gesellschaft. Solche Versammlungen wirken nicht nur durch ihre Forderungen. Sie verändern die Realität oft bereits dadurch, dass sie radikalere Modelle von Demokratie praktizieren.
Auch innerhalb der Künste gibt es ein erneutes Interesse an Konzepten der Versammlung und dem Erzeugen öffentlicher Räume, in denen die Gesellschaft nicht nur gespiegelt, sondern konsequent ausprobiert, aufgeführt, getestet, anders gedacht oder gar neu erfunden wird: Gerichtsverhandlungen über Kunstfreiheit, Religion und Zensur; Tribunale über Ausbeutung und Gewalt; Gipfeltreffen über Klimawandel oder Kulturpolitik; Parlamente, in denen diejenigen sprechen, die sonst zum Schweigen gebracht werden... Insbesondere das Theater ist zu einer Bühne für Versammlungen auf dem schmalen Grat zwischen Kunst und Wirklichkeit geworden, zu einer demokratischen Arena der radikalen Imagination.
Doch welche Zukunft hat die Idee der Versammlung nach Monaten eines Ausnahmezustands, der so ziemlich alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens aus dem Takt gebracht hat? Gesellschaftsspiele: The Art of Assembly bringt Protagonisten aus verschiedenen Bereichen der Kunst, Politik und Theorie zusammen, um über die Zukunft der Versammlung zu spekulieren – in einer Zeit, in der wir gelernt haben, wie flüchtig Gewissheiten sein können und in der jede Form des physischen Miteinanders prekär geworden ist.
Dana Yahalomi (Tel Aviv) ist Direktorin von Public Movement (gemeinsam mit Omer Krieger gegründet), einer performativen Forschungseinrichtung, die politische Aktionen im öffentlichen Raum untersucht und inszeniert. Die Gruppe studiert und erstellt öffentliche Choreografien, Formen sozialer Ordnung, offene und verdeckte Rituale. Zu den jüngsten Auftritten gehören: MAXXI Rom, Öffentliche Kunstagentur Schweden, Stockholm, Museo Novecento, Florenz, CCA Tel Aviv, Tel Aviv, Solomon R. Guggenheim Museum, New York, Göteborg Biennale, Schweden, Tel Aviv Kunstmuseum, Tel Aviv.
Oliver Marchart ist Philosoph und seit 2016 Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Er leitete das Projekt Making Democracy. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Demokratietheorie, politische Ideengeschichte, Soziale Bewegungsforschung, politische Diskursanalyse und Populismus.
Florian Malzacher. Gesellschaftsspiele. Politisches Theater heute. Berlin: Alexander Verlag, 2020.
Florian Malzacher ist freier Kurator, Dramaturg und Autor. 2012 - 2017 war er Künstlerischer Leiter des Impulse Theater Festivals (Düsseldorf, Köln und Mülheim/Ruhr), davor sieben Jahre Leitender Dramaturg/Kurator des Festivals steirischer herbst (Graz). Er (ko)kuratierte u. a. die Internationalen Sommerakademie (Mousonturm Frankfurt, 2002 & 2004), “Dictionary of War” (2006/07), „Truth is Concrete“ in Graz (2012), „Aneignungen“ im Ethnologischen Museum Berlin/Humboldt Lab (2015), „Artist Organisations International“ (HAU Berlin, 2015), „Vom Möglichkeitssinn“ zum Jahrestag der Russischen Revolution (St. Petersburg, 2017), “Training for the Future” (mit Jonas Staal, Ruhrtriennale 2018/19), und „Nach dem Beaufsichtigen der Maschinen“ (2020). Als Dramaturg arbeitete er u.a. mit Rimini Protokoll, Lola Arias (ARG), Mariano Pensotti (ARG) oder Nature Theater of Oklahoma (USA). Florian Malzacher ist Herausgeber und Autor zahlreicher Essays und Bücher zu Theater und Performance, sowie zum Verhältnis von Kunst und Politik. Zuletzt erschien 2020 sein Buch „Gesellschaftsspiele. Politisches Theater heute“ im Alexander Verlag Berlin. https://florianmalzacher.tumblr.com
"Es ist wichtig, dass wir als Körper – als die körperlichen Wesen, die wir sind – zusammen in der Öffentlichkeit auftreten, dass wir uns in der Öffentlichkeit versammeln. Wir kommen zusammen auf den Straßen und Plätzen als eine Allianz der Körper. […] Das ist das, was hier passiert, eine Politik des öffentlichen Körpers, der Bedürfnisse des Körpers, seiner Bewegungen und seiner Stimme. […] Wir sitzen und stehen, wir bewegen uns und wir sprechen, so wie es unseren Möglichkeiten entspricht, als Wille des Volkes, den die Wahldemokratie vergessen und im Stich gelassen hat. Aber wir sind hier. Und wir bleiben hier und füllen die Formel „We, the people“ mit Leben." Judith Butler, Occupy Wall Street, 2011
Mit Oliver Marchart, Chantal Mouffe, Sibylle Peters, Julia Ramírez-Blanco, Milo Rau, Oliver Ressler, Dana Yahalomi / Public Movement u.a. Gäste am 23. Jänner Oliver Marchart (politischer Philosoph & Soziologe, Wien), Dana Yahalomi (Leiterin des Performancekollektivs Public Movement, Tel Aviv) Kuratiert von Florian Malzacher Eine Produktion von brut – Koproduktionshaus Wien GmbH In Zusammenarbeit mit Münchner Kammerspiele und Wiener Festwochen