Was ist der Ausgangspunkt Eurer Arbeit?
Der Ausgangspunkt der Arbeit ist die Frage, was passiert, wenn wir die Betrachtung des Scheiterns fundamental umkehren und neu bewerten: Was entsteht in unserer künstlerischen Praxis, wenn wir im Prozess das Nichtgelingen in den Vordergrund stellen? Mein Team und ich nähern uns diesem Thema über die Auseinandersetzung mit dem Grand Jeté, dem großen Werfen, einem Sprung vom einen auf das andere Bein im klassischen Ballett. Eine Bewegung, die am höchsten Punkt in einem utopischen Zustand zwischen Fallen und Fliegen zu schweben scheint. Im Bild des Schwebezustands manifestiert sich die schmale Trennlinie zwischen Gelingen und Nichtgelingen, Scheitern und Erfolg. Der Schwebezustand kann aber nur in perfekter Ausführung des Sprungs erreicht werden, was für Lai*innen auch mit hartem Training kaum erreichbar sein wird. So verschiebt sich die hauchdünne Grenze und stellt die ergebnisorientierte Bewertung des Scheiterns beziehungsweise des Erfolgs infrage, indem sie den Prozess, das Training des Unerreichbaren in den Vordergrund stellt.
Wie vereint sich Theorie und Praxis in Eurem künstlerischen Schaffen?
Zu Beginn steht eine theoretische Frage im Raum: Wie lässt sich Scheitern überhaupt darstellen? Ausgehend von dieser Frage begeben wir uns auf die Suche nach historischen Vorbildern, nach Beispielen in der Kunst, aber auch nach Erfahrungen aus anderen Bereichen. Daraus entsteht eine Sammlung von Texten und Materialien, mit denen wir im Prozess umgehen, etwa eine biomechanische Abhandlung über den Grand Jeté oder Albert Camus’ Mythos des Sisyphos. Dabei versuchen wir, die Erfahrungen der Recherche in die künstlerische Praxis zu überführen, neue Maßstäbe für die Bewertung der eigenen Versuche zu entwickeln, „Fehler“ zu reproduzieren und ihre Wirkung mit einem neuen Blick zu überprüfen.
Welche Fragen eröffnen sich durch das Scheitern vor Publikum?
In der Aufführung des Scheiterns steckt eine paradoxe Situation. Wird das Scheitern in dieser öffentlichen Vorführung als Scheitern wahrgenommen oder im Auge des*der Betrachter*in automatisch zu etwas Gelingendem? In diesem produktiven Widerspruch steckt die Möglichkeit, einen utopischen Raum zu eröffnen, in dem vielleicht etwas entsteht, das sehr unwahrscheinlich scheint: eine Plattform und einen Austausch über das eigene Scheitern und die Entdeckung der Schönheit darin zu ermöglichen.
Das Interview wurde im Jänner 2021 geführt. Aufgrund der aktuellen Situation kann die Performance nicht wie geplant als Live-Version stattfinden. Die Künstler*innen haben eine eigenständige filmische Version ihres Projekts erarbeitet, die im Rahmen des imagetanz Festivals im März als Online-Filmpremiere mit Artist Talk präsentiert wird.